Mazal: "Gewissen nicht gegen Rechtsstaatlichkeit ausspielen"
Wenn politisch Verantwortliche allgemein geltende Rechtsnormen setzen, dann dürfen sie dabei die persönliche Gewissensentscheidung nicht über den Rechtsstaat stellen. Diesen Grundsatz einer rechtsstaatlichen Demokratie hat der Präsident des Katholischen Laienrats (KLRÖ), Prof. Wolfgang Mazal, in der Debatte rund um das EU-Renaturierungsgesetz deutlich eingemahnt. Vor diesem Hintergrund hat der an der Universität Wien lehrende Jurist am Dienstag gegenüber Kathpress nicht nur die Entscheidung von Umweltministerin Leonore Gewessler kritisiert, sondern auch jene Stimmen aus dem katholischen Bereich, die sich mit der von Gewessler bezeichneten Gewissensentscheidung solidarisiert haben.
Wie Mazal ausführte, werde seitens der Verteidiger der Entscheidung von Ministerin Gewessler zur Renaturierungsverordnung die Rechtsfrage von der ethischen Frage getrennt - nach dem Motto: "die juristische Frage müssen Juristen klären, wir unterstützen aber die Gewissensentscheidung". Dazu der Laienratspräsident: "Eine solche Sicht ist in einem Rechtsstaat jedoch prekär".
Wer sich dem Rechtsstaat verpflichtet wisse, müsse - gerade angesichts einer Thematik von großer Tragweite - alles unternehmen, um eine rechtsförmliche Entscheidung zu treffen. Dazu Mazal: "Wenn man jedoch nicht an den Rechtsstaat glaubt, sondern sich zu höherer Gerechtigkeit berufen fühlt, dann wählt man einen anderen Weg: Man verkündet seine Gewissensentscheidung, legt Rechtsgutachten vor, die für die eigene Auffassung sprechen, ignoriert alle anderen legitimen Argumente, und verhält sich nach eigener Entscheidung."
Aus katholischer Sicht kritisiere er, Mazal, aber nicht primär den Umgang mit dem Rechtsstaat, sondern die Berufung auf das Gewissen in einer solchen Situation: "Ich halte es für anmaßend und unhaltbar, sich gerade in einer rechtlich offenen Situation als Staatsorgan einfach auf das Gewissen zu berufen und als Zünglein an der Waage eine Entscheidung von europaweiter Tragweite für Millionen von Menschen herbeizuführen, zumal wenn primär politisches Kalkül zur Dringlichkeit mahnt."
Zwar scheine es auf den ersten Blick heroisch zu sein, wenn sich eine Bundesministerin darauf beruft, in einer politischen Entscheidung ihrem Gewissen zu folgen, wenn es juristische Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens gibt. "Tatsächlich hat die Gewissensentscheidung in der abendländischen philosophischen und ethischen, insbesondere auch in der christlichen und katholischen Tradition einen hohen Stellenwert und verdient daher Achtung." In der Frage der Renaturierung sei die Berufung auf das Gewissen jedoch "inadäquat". Denn: "In einem Rechtsstaat sind für das Verhalten Einzelner - und insbesondere von Verfassungsorganen - primär die rechtlichen Normen maßgeblich."
Warnung vor moralischer Selbstüberhöhung
Sollte man sich in einer politischen Entscheidung auf das Gewissen berufen, dann könne das nur in einem sehr klar definierten Rahmen erfolgen, damit daraus nicht reine Willkür erwachse, so der KLRÖ-Präsident. Mazal verwies zudem auf ein aktuelles Grundlagenpapier zur Gewissensfreiheit der Evangelischen Kirche Deutschland, wo es heißt: Das Grundrecht auf Gewissensfreiheit "verleiht niemandem die Rechtsmacht, anderen seine Vorstellungen von der Auslegung von Rechtsnormen aufzuzwingen".
"In einem Rechtsstaat kann eine Gewissensentscheidung dazu führen, sich normativ vorgegebenen Handlungen zu verweigern, nicht hingegen dazu, normative Festlegungen für andere vorzunehmen, indem rechtliche Normen verletzt werden oder ihre mögliche Verletzung in Kauf genommen wird", hielt Mazal fest. Eine moralische Selbstüberhöhung als "Märtyrer des Gewissens" könne einen Verstoß gegen eine regelgebundene Ordnung jedoch nicht rechtfertigen. "Dies wird auch dadurch nicht besser, dass man sich gebetsmühlenartig auf den Schutz der Natur, die Mitweltgerechtigkeit und päpstliche Dokumente beruft. Eine noch so gut gemeinte Absicht vermag ein derartiges Verhalten nicht zu rechtfertigen."
Mazal abschließend: "Die Geschichte Europas kennt von Sokrates über Martin Luther bis Franz Jägerstätter Persönlichkeiten, die unter Berufung auf ihr Gewissen schwerwiegende individuelle Nachteile in Kauf genommen haben. Als Zünglein an der Waage eine Entscheidung in einer Frage herbeizuführen, die innerstaatlich rechtlich und in ganz Europa politisch kontrovers ist, und in der man sich des Beifalls der eigenen 'Follower' gewiss ist, ist mit den Konflikten, in denen diese 'Helden des Gewissens' gestanden sind, nicht vergleichbar."
Quelle: kathpress